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Den "Euthanasie"-Opfern ihre Namen zurückgeben! Die Namen der Opfer zu nennen, ist keine Schande – im Gegenteil!
Opfer der NS-"Euthanasie" im Namensbuch der Gedenkstätte Grafeneck |
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Der lange Weg zur Namensnennung Dass meine Tante Anna Lehnkering heute einen festen Platz im Familiengedächtnis hat, war unter anderem möglich, weil ich ihren Namen auf einer nach deutschem Recht illegalen Namensliste von Opfern der nationalsozialistischen „Euthanasie-Aktion" gefunden habe. Archivregelungen haben die öffentliche Nennung der Namen von "Euthanasie"-Opfern lange verhindert. Mit Bezug auf Datenschutzrichtlinien wurde argumentiert, man müsse auf die schutzwürdigen Belange Dritter Rücksicht nehmen - gemeint sind die heute lebenden Angehörigen. Sie könnten sich als Verwandte eines Euthanasie-Opfers stigmatisiert fühlen. Eine Argumentation, die direkt an rassenhygienisches Denken anknüpft und nicht nur eine fortdauernde Diskriminierung der Toten bedeutet, sondern zur Stigmatisierung derjenigen beiträgt, die heute von Behinderungen oder psychischen Erkrankungen betroffen sind. Nicht zuletzt werden dadurch die Schwellenängste von Angehörigen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, erhöht. 2018 gab es eine wegweisende Änderung. Seitdem ermöglicht das Bundesarchiv eine personenbezogene Suche in einer Online Datenbank, die auf den Namen von etwa 30.000 Opfern der „Aktion T4“ basiert. Zwar nur ein Bruchteil, aber immerhin ein Anfang und ein Signal für mehr Offenheit im gesellschaftlichen Umgang mit dem Thema. Mit der Nennung der Namen wird eine unheilvolle Kontinuität durchbrochen, ein wichtiger Schritt, um die Opfer in das familiäre und kollektive Gedächtnis zurückzuholen und zugleich ein Beitrag zur Entstigmatisierung von Menschen, die heute von Behinderung oder psychischer Erkrankung betroffen sind. Es bleibt zu hoffen, dass andere Archive und Institutionen – soweit noch nicht geschehen - dieser Praxis folgen werden.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Arbeitsgemeinschaft Bund der "Euthanasie"-Geschädigten und Zwangssterilisierten eine abweichende Haltung zur Frage der Namensnennung vertritt.
Rückblick 2003 - 2018 Dank der damals illegalen Namensliste war es mir möglich, das Schicksal meiner Tante zu recherchieren und aufzuarbeiten. Heute weiß ich, welch unvorstellbares Unrecht ihr geschehen ist. Das familiäre und gesellschaftliche Totschweigen der Vernichtung war Teil dieses Unrechts. Auch ich habe im Laufe meiner Spurensuche erlebt, dass die unterschiedlichen - teils rigiden - Auslegungen von Datenschutzvorschriften zum Verschweigen der Namen beitragen. Gleich zu Beginn meiner Suche habe ich 2004 auf dieser Website einen Aufruf veröffentlicht: "Gegen das Vergessen und für ein würdiges Gedenken der „Euthanasie"-Opfer aus Bedburg-Hau im Namensbuch der Gedenkstätte Grafeneck". Auch damals ging es darum, dass "Euthanasie"-Opfer Namen und Gesicht zurückerhalten. Unsägliche datenschutzrechtliche Bedenken verhinderten und verzögerten diesen Prozess jahrelang. Seit 2011 gibt es das Internetportal www.gedenkort-t4.eu. Ein wichtiger Bestandteil dieses virtuellen Mahnmals ist die Erinnerung an Einzelschicksale von Opfern der „Euthanasie"-Verbrechen. Erfreulicherweise sind inzwischen zahlreiche Angehörige meinem dort veröffentlichten Aufruf gefolgt und zeigen Gesicht und Namen ihrer ermordeten Verwandten.
2013 folgte mein Plädoyer für die Freigabe der Namen von Opfern der NS-„Euthanasie".
Petition an den
Deutschen Bundestag „Jeder Mensch hat einen Namen. Dieser ist eng verbunden mit seiner Persönlichkeit, seiner Identität und seinem Lebensschicksal. Wer einem Menschen seinen Namen vorenthält, der beraubt ihn seiner Identität und seiner Menschenwürde. Wer den Opfern ihren Namen nimmt, tötet sie im Sinne des Vergessens erneut. Gerade für jüdische Mitbürger ist es wichtig, dass der Name eines Menschen genannt wird, um ihn in Erinnerung zu halten. Bei den Opfern der NS-„Euthanasie“ ist die Situation jedoch anders." So beginnt eine Petition an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages, die die "Aktualisierung, Modernisierung und Humanisierung des Bundesarchivgesetzes" fordert und im Februar 2015 eingereicht wurde. Es geht um das namentliche Gedenken an die Opfer der NS-"Euthanasie", das durch Datenschutzvorschriften und Archivregelungen erschwert und verhindert wird. Die Petition wird von vielen Seiten - darunter von zahlreichen Angehörigen - unterstützt. „Es ist an der Zeit, die Ermordeten namentlich zu ehren und ihnen damit einen Teil ihrer Individualität und menschlichen Würde wenigstens symbolisch zurückzugeben“, schreibt der Historiker Götz Aly. „Wer“, so fragt er, „hat nicht im weiteren Familienkreis einen, der von der Norm abweicht? Ist das eine Schande? Ist es nicht vielmehr schändlich, die Namen von Opfern der Gewaltherrschaft zu unterschlagen?“ (Götz Aly, Die Belasteten, Frankfurt 2013)
Bundesarchiv und die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien Das Bundesarchiv unterliegt der Fachaufsicht der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Monika Grütters. Im Mai 2015 erhielt der Petent einen Zwischenbescheid aus dem Hause der Staatsministerin: „... Mit Blick auf die Bedeutung eines auch namentlichen Gedenkens an die Opfer der NS-Euthanasie und einer umfassenden Aufarbeitung der Umstände der „Euthanasie“-Morde werde ich gemeinsam mit dem Bundesarchiv und unter Hinzuziehung der Beauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit prüfen, inwieweit die bisherige Praxis dem gerecht wird und eine Änderung derselben geboten erscheint." Nachdem ich Kenntnis von der Petition hatte, schickte ich ein Schreiben an Frau Grütters und bat sie, sich für eine Änderung der bisherigen Praxis einzusetzen. Am 2. November 2015 erreichte mich die folgende Antwort: "... Die von BKM initiierte Prüfung unter Beteiligung des Bundesarchivs und der Beauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit hat ergeben, dass eine Änderung der bisher restriktiven Benutzungspraxis des Bundesarchivs in Bezug auf dort vorhandene Archivgut zu Opfern der NS-Euthanasie grundsätzlich geboten erscheint. Es hat sich allerdings auch gezeigt, dass der angemessene Umgang mit den Daten sehr einzelfallgeprägt ist und einer sensiblen Abwägung bedarf, bis zu welchem Grad einerseits die Freigabe der Daten den Opfern ihre Identität zurückgibt und deren angemessene Würdigung ermöglicht und wie weit andererseits eben doch schutzwürdige Belange für den Schutz bestimmter Daten sprechen. Auf Grundlage dessen werden wir nunmehr eine Fachtagung initiieren, die konkrete, fachlich fundierte Empfehlungen für die künftige Gedenkstättenpraxis entwickeln soll."
Fachtagung vom 29. Juni 2016 in Berlin Die oben angesprochene Fachtagung hat inzwischen unter der Überschrift "Gedenken und Datenschutz im Zusammenhang mit der öffentlichen Nennung der Namen von NS-Opfern in Ausstellungen, Gedenkbüchern und Datenbanken" stattgefunden. Sie wurde von den Stiftungen Denkmal für die ermordeten Juden Europas und Topographie des Terrors in Zusammenarbeit mit dem Bundesarchiv veranstaltet, gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien. Das erfreuliche Ergebnis der Konferenz war - anders als noch vor wenigen Jahren in München - ein mehrheitlicher Konsens darüber, dass die öffentliche Nennung von Namen, Geburtsort und Geburtsdatum von "Euthanasie"-Opfern in rechtlicher und ethischer Hinsicht möglich und auch wünschenswert ist. Es bleibt zu hoffen, dass nun seitens der Politik Maßnahmen ergriffen werden, die in absehbarer Zeit zu einer Änderung der bestehenden Gesetzeslage führen. Zwischenstand September 2017 "Petitionsausschuss mahnt, die Namen von Euthanasie-Opfern zu veröffentlichen" Wie einem Artikel im Deutschen Ärzteblatt (Online Ausgabe / 5.9.2017) zu entnehmen ist, besteht berechtigte Hoffnung, dass die Namen der NS-„Euthanasie"-Opfer schon bald veröffentlicht werden können. Aus der Begründung zur Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses geht hervor, dass die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Monika Grütters, dem Vorschlag positiv gegenüber stehe. Was die immer wieder vorgebrachten datenschutzrechtlichen Fragen in Bezug auf die Angehörigen der Opfer angehe, so vertrete die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Andrea Voßhoff, die Meinung, dass keine Gefahr der Persönlichkeitsrechtsverletzung der Angehörigen zur erkennen sei.
30. August 2018 -
Ein großer Schritt
2020 - Ein Versuch, das Rad der Geschichte zurückzudrehen Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass wir im Jahr 2020 erneut mit dem Thema konfrontiert sein könnten. Im Juni 2020 wurde in den archivfachlichen Beiträgen der stadtgeschichtlichen Reihe des Stadtarchives Mönchengladbach ein Artikel publiziert, der unter dem Titel „Die vierte Schande! am Beispiel der Euthanasie-Gedenkstätte Hadamar“ den Umgang mit den Nachfahren der Opfer mit der Entmündigung der Opfer selbst vergleicht. Zusammen mit anderen Angehörigen habe ich dazu Stellung bezogen. Mit dem Plädoyer "Die Namen von „Euthanasie“-Opfern zu nennen, ist keine Schande – im Gegenteil" haben wir uns gegen den Versuch gewendet, das Rad der Geschichte zurückzudrehen.
Presse, Bücher, Veranstaltungen u. a.
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