Gedenken im digitalen Raum - künstlerische und inklusive
Ansätze
Ausdruck und Formen des Gedenkens sind
vielfältig. So gehören Denkmäler, Mahnmale, Rituale wie
Kranzniederlegungen seit Jahrhunderten zur deutschen Gedenkkultur.
Doch in einer Welt globaler Vernetzung beeinflussen die digitalen
Medien zunehmend unser Verständnis von der Vergangenheit und
schaffen neue Formen des Erinnerns. Das Gedenken im digitalen Raum
hat nicht zuletzt durch die Corona Pandemie bedingt stark
zugenommen. Auch gibt es erfreulicherweise immer mehr Projekte, die
einen inklusiven Ansatz verfolgen.
Meines Wissens war das seit 2011
existierende virtuelle Informations- und Gedenkportal
www.gedenkort-t4.eu eine der ersten Internetseiten, die nicht
nur umfangreiche geschichtliche Fakten zum Thema der
nationalsozialistischen "Euthanasie" präsentiert, sondern Brücken zu
Themen der Gegenwart und Zukunft schlägt. Bis heute erreicht dieses
Internetangebot deutschland- und europaweit viele Menschen.
Hier einige Projekte und Initiativen,
die teilweise eng mit Gedenkort-T4.eu verbunden sind, und für die
Vielfalt und Inklusion nicht leere Worthülsen sind:
-
Ein wesentlicher Bestandteil der
Website ist die Erinnerung an die Opfer - wachgehalten durch 159
Biografien
(Stand 10/2022).
-
2017 startete Julia Gilfert
(Frick) unter der Überschrift "Das Schweigen brechen" eine
Interview-Reihe mit Angehörigen von "Euthanasie"-Opfern.
-
2021 gab es den ersten
Gedenkort-T4-Podcast. In dem Gespräch mit Gabriele Lübke
ging es um die Geschichte ihrer Großmutter
Rosa Schillings, die in Hadamar ermordet wurde. Weitere
-
Förderkreis Gedenkort T4
Der Verein will den Berliner
Gedenk- und Informationsort für die Opfer der
nationalsozialistischen "Euthanasie"-Morde im öffentlichen
Bewusstsein verankern. Ein besonderes Anliegen ist, die
Sichtweise von Menschen mit Behinderung und körperlichen und
psychischen Einschränkungen sowie der Angehörigen von Ermordeten
einzubringen.
Workshop
Angebot 2024
-
Ganz neue Wege des Lernens und der
Annäherung an das Thema NS-"Euthanasie" werden mit dem
Online-Spiel
Spuren auf Papier
beschritten. Es ist Teil des Projekts "Serious Game der
Gedenkstätte Wehnen".
-
Aus der Gedenkstätte
Pirna-Sonnenstein berichten zwei junge Frauen in einem
Podcast
über ihre Arbeit als FSJlerinnen in der Gedenkstätte. Sie
verbinden darin die Vergangenheit mit den aktuellen
Herausforderungen der Gegenwart. Die Folgen können bei Spotify,
Deezer, Amazon Music etc. gehört werden.
-
Dank des des Engagements einer
jungen Frau wird auf Instagram regelmäßig an Opfer der
"Euthanasie" erinnert.
Stina Ulbrich: "Heute vor 107 Jahren wurde Anna Lehnkering in
Sterkrade geboren. …
-
"NIE WIEDER" ist ein großartiges
Projekt, das von der Lebenshilfe des Landkreises Miltenberg
umgesetzt wurde. Ein Teil davon ist das Kunstprojekt
"SICHTBAR". Unter der künstlerischen Anleitung der
Malerinnen Thea Nodes und Sandra Wörner haben Menschen mit und
ohne Behinderungen Portraits von Opfern der "Euthanasie"-Morde
gemalt. Es hat mich sehr berührt, dass ein
Foto von meiner Tante Anna und ihrer Freundin Hedwig Vorlage
für eins der Bilder war.
Auf dem
Instagram Account von Thea Nodes
kann man das Entstehen der Bilder mitverfolgen. (Ausstellung am
29. April 2023)
-
Gerne habe ich das bundesweite
Bildungsprojekt der
Zeitbild-Stiftung
(gefördert von der
Stiftung EVZ) unterstützt. In dem digitalen
Unterrichtsmagazin Zeitbild WISSEN "NS-„Euthanasie" ERINNERN –
inklusive Gesellschaft GESTALTEN" (erschienen Juni 2023)
wird auch an die Geschichte meiner Tante erinnert. Es richtet
sich an Lehrerinnen und Lehrer und soll die Auseinandersetzung
mit dem Thema NS-"Euthanasie" im Unterricht fördern. Natürlich
geht es auch hier darum, aus der Vergangenheit für die Gegenwart
zu lernen.
-
"Kein Thema! Geschichte ist jetzt."
Unter diesem Motto veröffentlichen
die
Arolsen Archives Videos auf YouTube, TikTok, Instagram -
Social-Media-Plattformen, die sich vor allem an junge Menschen
richten.
Unter dem Leitsatz "Setz ein Zeichen für Respekt, Vielfalt
und Demokratie – denn die Gründe für Verfolgung sind nicht
Geschichte." wird in einem eindrucksvollen Video
Ableismus: Leben mit Behinderung – Interview mit Luisa L’Audace
I Keine Geschichte - YouTube
der Bezug zwischen Luisa und Annas Geschichte hergestellt. Auch
auf
Instagram wird an Anna erinnert (Juli 2023). Ich hoffe sehr,
dass die Botschaft des Videos viele Menschen erreicht!!!
-
Der
digitale Ausstellungsraum von Eddy Wieand über das Schicksal
seiner Tante ERNA KRONSHAGE ist eine außergewöhnliche und
bemerkenswerte Erinnerungsarbeit
-
Das wegweisende Projekt
geh denken inklusiv (geh-denken-inklusiv.de) wird von der
Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland
getragen, einem Verein, der von behinderten Menschen
organisiert, geleitet und verwaltet wird. Es geht darum,
inklusive partizipative Erinnerungsmodelle zu
entwickeln. Die
Podcast Reihe - #Einestimmegeben-t4
ist ein Teil des Projekts und möchte Menschen mit Behinderungen
und deren Angehörige, die sich schon länger mit den Themen
NS-Morde und Zwangssterilisation befassen, zu Wort kommen
lassen. Für mich war es der erste Podcast meines Lebens.
https://youtu.be/e-d4jad5zOY
-
Tolle
digitale
Ausstellung von ambulante dienste e.V. Berlin -
Einblicke in selbstbestimmtes Leben im Zusammenhang mit der
Behindertenrechtsbewegung
-
Seit 2024 kann Annas Biografie als
Bildgeschichte (Grafic-Story)
über die NRW-Stolperstein App und
Website aufgerufen werden. Ein innovativer und
interaktiver Zugang und eine tolle Möglichkeit, Annas Geschichte
einer jungen Zielgruppe nahezubringen.
-
Stolpersteine NRW – Stolperstein Anna Lehnkering | WDR
Bildungsangebote in
Leichter Sprache
Bevor 2015 mein Buch
"Annas Spuren" als Kurzfassung
in einfacher Sprache erschien, hatte ich wenig oder kaum Ahnung
von dem
Konzept der Leichten oder Einfachen Sprache. Inzwischen bin ich
zutiefst davon überzeugt. Das Buch ist für Menschen gedacht, denen
aus unterschiedlichsten Gründen das Lesen schwer fällt. Ein Teil der
Leserschaft ist wie Anna geistig behindert. Sie alle haben ein Recht
darauf zu erfahren, was in der Vergangenheit passiert ist. Kurz nach
Erscheinen des Buches schrieben mir Schüler*innen einer Schule für
Menschen mit einer geistigen Behinderung: "Wir fanden das Buch gut,
spannend und auch traurig. Wir können froh sein, dass alle Menschen,
auch die mit einer Behinderung, heute ihr Leben leben können und
nicht mehr verfolgt werden. Das darf nicht wieder passieren. Wir
sind alle Menschen." Eine Rückmeldung, die mich sehr gerührt hat!
Besser kann man es nicht ausdrücken.
In allen Gedenkstätten an den Orten
der sechs T4-Tötungszentren gibt es inzwischen analoge und digitale
Bildungs- und Vermittlungsangebote für behinderte Menschen. Dazu
gehören Führungen von Menschen mit Lernschwierigkeiten ("Guides"),
Publikationen in Leichter Sprache, in Gebärdensprache oder in
Brailleschrift. Es sind Projekte, die ohne die Beteiligung von
Menschen mit Behinderungen gar nicht denkbar wären.
Theater gegen das Vergessen
"Ja, ich behaupte darum, dass das Theater eines der
machtvollsten Bildungsmittel ist, die wir haben: ein Mittel, die
eigene Person zu überschreiten, ein Mittel der Erkundung von
Menschen und Schicksalen und ein Mittel der Gestaltung der so
gewonnenen Einsicht." (H. v. Hentig: Bildung. Ein Essay, 1996,
Beltz Verl.) |
Die Anzahl von Theaterprojekten, die
das Thema der NS-"Euthanasie" aufgreifen, hat auch dank des
Wettbewerbs "andersartig gedenken on stage" stetig zugenommen. Hier
einige Beispiele:
-
andersartig gedenken on stage
Der bundesweite Wettbewerb für Schul- und Jugendtheater zu
Biographien der Opfer der NS-"Euthanasie"-Verbrechen wurde zum
ersten Mal 2015 ausgeschrieben. Seitdem fördert er die
persönliche Auseinandersetzung mit Einzelschicksalen von Opfern
und baut Brücken zwischen dem Leben der heutigen jungen
Generation und der Vergangenheit. Das Projekt unterstützt
ausdrücklich Kooperationen zwischen schulischen oder
außerschulischen Theatergruppen und Gruppen, die mit Menschen
mit Behinderungen arbeiten. Es war mir eine Ehre, den Wettbewerb
zweimal als Mitglied der Jury zu begleiten. Ein ganz besonderer
Dank an Stana Schenck!
-
Eine ganz persönliche Bedeutung hat für mich das
Kinder- und
Jugendtheater mini-art, dessen Spielstätte sich auf dem
Gelände der psychiatrischen Klinik Bedburg-Hau befindet. Das
Team setzt sich bereits seit vielen Jahren mit der
NS-"Euthanasie" auseinander und hat verschiedene Projekte mit
Jugendlichen und zwei Theaterstücke entwickelt. 2012 wurde dort
zum ersten Mal das Theaterstück
Ännes letzte Reise inszeniert. Es basiert auf dem Schicksal
meiner Tante Anna Lehnkering, die 1940 von Bedburg-Hau aus ihre
letzte Reise in die Gaskammer von Grafeneck antrat.
Heilendes
Theater (mini-art.de)
-
Anlässlich der Gedenkveranstaltung
an der Tiergartenstraße 4 am 2. September 2022 spielte
das inklusive Ensemble des Vereins Theater in der Tonne e.V.
Reutlingen das berührende Theaterstück
Hierbleiben, Spuren nach Grafeneck. Mit dieser
ungewöhnlichen und künstlerisch vielfältigen Form des
Straßentheaters erreicht das Ensemble die Menschen unmittelbar
vor Ort und schlägt eine eindrucksvolle Brücke zwischen
Vergangenheit und Gegenwart.
-
Mehr als zwanzig Jahre nach der
Uraufführung in Italien fand Anfang 2023 in Berlin die deutsche
Erstaufführung des Theaterstücks
T4. OPHELIAS GARTEN von Pietro Floridia statt.
siehe
Psychiatrienetz: Floridia: Ophelias Garten
-
Frauen der Unterwelt. Sieben hysterische Akte wurde am 23.
Februar 2023 vom Staatstheater Augsburg uraufgeführt.
"Mit »Frauen der Unterwelt. Sieben
hysterische Akte« kommt ein berührender und aufrüttelnder
Theatertext zur Uraufführung. Im Zentrum der Handlung stehen
sieben unangepasste Frauen, die in der NS-Zeit den sogenannten
»Krankenmorden« zum Opfer fielen. Aus verschiedenen Perspektiven
werden ihre Biografien beleuchtet, Mechanismen von Macht und
Gewalt offengelegt, aber auch Widerständigkeit und
Selbstermächtigung thematisiert. Vor gespenstischer Kulisse,
anschaulich erzählt und ineinanderfließend inszeniert, spielt
das Ensemble gegen das Vergessen an." (Quelle:
Staatstheater Augsburg)
Das Theaterstück basiert auf dem
Text von
Tine Rahel Völcker "Frauen der Unterwelt".
Anlässlich der Gedenkveranstaltung am 1. September 2023 am
Gedenk- und Informationsort für die Opfer der
nationalsozialistischen "Euthanasie"-Morde in der
Tiergartenstraße 4 las Tine Rahel Völcker Auszüge aus ihrem
Text. Eine sehr berührende Lesung, vor allem an diesem für
unsere Erinnnerungskultur so besonderen Ort!
-
Sie rufen außerhalb der Sprechzeiten an - Ein Psychical Das
musikalische Theaterstück mit und von Miriam Schwan, Johannes
Still und Carola Söllner wurde im November 2022 im Brandenburger
Theater in Brandenburg an der Havel uraufgeführt. Es
thematisiert psychische Störungen aus der Sicht von Betroffenen
und "möchte dazu beitragen, Vorurteile abzubauen, Menschen zu
informieren und die Welt ein bisschen offener zu machen".
Auch die Lebensgeschichte meiner Tante Anna ist Teil des
Stückes, was für mich natürlich eine ganz besondere Bedeutung
hat. Das Stück war für den
Deutschen Musical Theaterpreis 2023 in zwei Kategorien
nominiert: Beste
Liedtexte: Miriam
Schwan & Carola Söllner Beste Darstellerin in einer
Hauptrolle: Miriam Schwan
Am 9. Oktober 2023 wurde das Stück im Berliner Theater des
Westens mit dem
Deutschen Musical Theater Preis für die besten Liedtexte
ausgezeichnet!!!
-
Am 13. November 2024 habe ich im
Deutschen Theater Berlin das zutiefst bewegende und ergreifende
Theaterstück F. Zawrel – Erb-Biologisch und sozial minderwertig
von Nikolaus Habjan sehen können.
-
Vorführung des Theaterstücks »F. Zawrel – Erb-Biologisch und
sozial minderwertig« - Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden
Europas
-
"F. Zawrel – erbbiologisch und sozial minderwertig" - Nikolaus
Habjan
Spielfilme und
filmische Dokumentationen
Es gibt eine Vielzahl filmischer
Dokumentationen, in denen es um die Themen NS-"Euthanasie" und
Zwangssterilisation geht - ein schwieriger Stoff, der meines Wissens
bisher nur in wenigen Spielfilmen behandelt wurde.
weiter »
|